Text als pdf                                                                                     zurück

Die internationale Stadt

Was ist die internationale Stadt? Die sozialen Strukturen einer Stadt sind durch verschiedene Faktoren wie Klima, Kultur, Religion und die Bräuche ihrer Bewohner regional geprägt und verweisen lediglich durch die Herkunft einiger Bevölkerungsschichten auf Internationales. Auf ihre Einwohner wirken Städte Identitätsbildend, sie bieten ein hohes Potenzial an Wiedererkennbarkeit einfach aufgrund der Tatsache, dass man sich in ihnen bewegt. Man kennt seine eigene Wohngegend, den Weg zur Arbeitsstätte, die Straßen, in denen Freunde wohnen etc. Dadurch entsteht das Gefühl von Vertrautheit. Die Heimatstadt wird subjektiv wahrgenommen, weshalb sie sich von anderen Städten zunächst unterscheidet. Die Internationalisierung der Stadt als solcher lässt sich insofern eher an den visuellen Strukturen im Stadtbild sowie den unsichtbaren ökonomischen Vernetzungen festmachen, wobei in meiner Arbeit die Auswirkungen auf das Visuelle ausschlaggebend sind.

Seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts finden sich immer weniger regional ausgeprägte Baustile. Architekten arbeiten international, was zur Folge hat, dass regionale Unterschiede in der Architektur mehr und mehr verschwinden. Städte nähern sich in ihrem Erscheinungsbild immer weiter aneinander an, insbesondere im Bereich von Geschäftsstraßen, Bürovierteln und Wohngegenden mit hoher Bevölkerungsdichte. Shopping Malls und Entertainment Center wie beispielsweise Multiplexkinos und Musical-Theater sorgen zusätzlich für eine Vereinheitlichung der Erlebnisse, die verschiedene Städte zu bieten haben. Das Besondere einer Stadt wird im historischen Kern konserviert und musealisiert. Es verliert seine charakteristische Bedeutung und wird zum Erlebnispark, wodurch es an Spezifik einbüßt. Das Stadtzentrum verliert an Bedeutung, da in der Peripherie immer mehr Wohn-, Einkaufs- und Entertainmentmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Es gibt nicht mehr ein Zentrum, vielmehr ist das Zentrum für jeden Einwohner dort, wo sich das soziale Leben abspielt. Die Stadtteile abseits vom historischen Kern sind oftmals geprägt durch einen einheitlichen unspezifischen Baustil und verlieren somit an Identifikationsmöglichkeit. Durch die Globalisierung von Wirtschaftsunternehmen besetzen Einzelhandelsketten in den verschiedensten Städten unterschiedlicher Länder die Einkaufszonen. Die Produkte auf dem Markt ähneln sich, da sie von international operierenden Unternehmen vertrieben werden. Dies prägt das Erscheinungsbild der Städte. Die Menschen tragen Kleidung von international renommierten Designern oder auch von H&M. Sie fahren japanische Autos und richten sich mit Möbeln von Ketten wie Ikea überall gleich ein. Die sichtbaren Unterschiede manifestieren sich nicht mehr im Großen, sondern nur noch im Detail.

Trotzdem nimmt man verschiedene Städte sehr unterschiedlich wahr. Wenn man dort ist, kann man sehr wohl zwischen London und Los Angeles unterscheiden. Allerdings ist das Bild, das wir von Städten haben, stark medial geprägt und wird durch Bilder, die wir sehen, beeinflusst. Die Vorstellung, die wir von Städten haben, ist auf Bildern aufgebaut, die die Differenzen zum Vertrauten betonen. So hat man, wenn man an New York denkt, das Empire State Building und Straßenschluchten vor Augen. Für Paris stehen Eiffelturm, Notre Dame und eine weitgehend geschlossene Gründerzeitbebauung. Bilder von den Strukturen, die denen der Heimatstadt ähneln, werden ausgeblendet.

In der Erfahrung von Städten prägt die Erwartungshaltung, die wir einem Ort entgegen bringen, nachhaltig das Wahrnehmungserlebnis. Als Tourist sucht man möglicherweise eher nach dem Besonderen, nach Baudenkmälern und Gegenden, über deren Besonderheit und Attraktivität man im Reiseführer gelesen hat. Jemand, der zum Studieren neu in eine Stadt kommt, wird eher nach einem Stadtviertel mit angenehmen Kneipen und billigem Wohnraum suchen. Die mentalen Bilder und Eindrücke, die von der selben Stadt entstehen, sind dann sehr unterschiedlich.

Wie nehmen wir Städte wahr, was für Bilder haben wir vor Augen, wenn wir an Städte denken, in denen wir uns nicht dauerhaft aufhalten? Welche Bilder kennen wir von Städten und wie verhalten wir uns zu diesen Bildern? Das sind Fragen die den Ausgangspunkt zur Entstehung meiner Arbeit bilden. Deshalb möchte ich an dieser Stelle näher eingehen auf die Wahrnehmung von Bildern und deren Verhältnis zum Ort, den sie abbilden.

Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien. sagt Niklas Luhmann. Der eigene Erlebnishorizont ist - nach Luhmann - sehr eingeschränkt. Die westliche Gesellschaft ist durch die mediale Verbreitung von Bildern geprägt. Fernsehen und Kino, Fotografien in Zeitungen, Zeitschriften und Büchern konstituieren ein Weltbild, das ein nicht aus eigener Anschauung erworbenes ist. Das individuelle Sehen wird durch einen fremden Beobachterstandpunkt ersetzt, der als der eigene rezipiert wird. Als Mediennutzer übernimmt man den Standpunkt desjenigen, der die Bilder liefert, meist ohne zu differenzieren, dass es sich um 'fremde' Bilder handelt. Die eigene Wahrnehmung ist von fremden Positionen beeinflusst, die nicht überprüfbar sind, aber durch die Erfahrungen mit medial verbreiteten Bildern als durchaus plausibel und 'wahr' wahrgenommen werden.

Das meiste, worüber wir 'im Bilde' sind, ist medial vermittelt. Dies bedeutet, dass uns Dinge bekannt sind, weil sie, meist in der Kombination von Bildern und Texten, medial verbreitet werden. Bilder prägen unser Weltbild. Wir 'kennen' die entlegendsten Winkel der Welt aus Bildern und meinen zu wissen, wie es dort ist oder wenigstens, wie es dort aussieht. Mit Städtenamen wie: Brasilia, Sydney oder Tokyo verbinden wir eine visuelle Vorstellung, egal, ob wir dort schon einmal gewesen sind. Kennt man diese Städte nicht aus der eigenen Erfahrung, ist die Vorstellung eher 'eindimensional', das heißt, sie bezieht sich auf Bilder, die man schon einmal irgendwo gesehen hat. Die Vorstellungsmöglichkeiten weiten sich jedoch abhängig von den persönlichen Erlebnissen weiter aus.

Das Abbild transportiert einen Moment des Authentischen. Das heißt, es verweist auf einen Ort und eine Zeit und auf eine Sichtweise, also: wie ist das Dargestellte gesehen worden? Das Abgebildete möchte vom Betrachter zugeordnet werden. Man fragt: was ist auf dem Bild zu sehen? und identifiziert Gebäude, Bäume, Straßen, Menschen. Man versucht, das Abgebildete mit den eigenen Wahrnehmungserfahrungen abzugleichen. Dies ist möglich, obwohl Bilder immer einen Abstraktionsgrad beinhalten. Sie sind zweidimensional und verändern die Größenverhältnisse, sie bieten lediglich Anhaltspunkte, die durch die Erfahrungen mit der Welt gedeutet werden können. In der Wahrnehmung von Bildern greift man auf die im Gedächtnis gespeicherten Formen zurück und versucht, diese mit den visuellen Eindrücken des Bildes abzugleichen. Wenn eine schlüssige Identifikation der abgebildeten Formen möglich ist, bedeutet das, dass sie als bekannt bezeichnet und als solche wiedererkannt werden. So werden die Formen mit Objekten der realen Welt in Verbindung gebracht und entsprechend kategorisiert und eingeordnet. Das heißt, ein Haus kann als Haus wiedererkannt werden, ohne dass eine spezifische Zuordnung als DIESES eine Haus gemacht werden muss. So kann ein Bild als Abbild funktionieren, obwohl der spezifische Ort, an dem es gemacht wurde, unbekannt ist. Der Verweis auf den Ort ist im Bild angelegt, aber das Wiedererkennen nicht unbedingt erforderlich, um es zu entschlüsseln.

Was also sagt ein Bild tatsächlich über den abgebildeten Ort aus? Ein Bild kann damit operieren, auf vermeintlich Bekanntes zurückzugreifen, um dem Betrachter das Gefühl zu vermitteln, den dargestellten Ort bereits zu kennen. Das kann durch verschiedene Mittel erfolgen. Stellt das Bild Bezüge zu Bildern her, die in unserem Kulturkreis als allgemein bekannt gelten, wird das Gefühl der Vertrautheit durch den Bekanntheitsgrad des Zitierten festgelegt. Bezüge können aber auch durch die Betonung des allgemein Bekannten hergestellt werden, also gerade durch die Negation jeglicher Spezifikation und so den gleichen Effekt auslösen. Mit dem allgemein Bekannten sind Dinge gemeint, die in unserem Kulturkreis das Umfeld prägen und die Grundlage für die Kommunikation untereinander bilden. Dabei kann es sich zum Beispiel um die städtischen Strukturen handeln, die jeder hier aus seiner Erfahrung kennt, da er sich in ihnen bewegt. Es kann sich aber auch um Bilder handeln, die großflächig medial verbreitet werden und deswegen in das visuelle Gedächtnis der Mitglieder eines Kulturkreises oder sozialen Zusammenhangs eingehen.

Wird der Bezug zum Ort nicht über das Bild selbst transportiert, geschieht dies, besonders in der medialen Vermittlung, oft über einen Text, der konkreter als das Bild auf den Ort verweist. Dem Betrachter wird somit suggeriert, er sähe tatsächlich diesen Bezug auf dem Bild, auch wenn der direkte Bezug im Bild nicht mit angelegt ist. Steht ein Bild in Zusammenhang mit einem Text, ist es fast unmöglich, das Bild losgelöst vom Text zu betrachten und herauszufinden, ob das textlich Beschriebene wirklich im Bild vorhanden ist. Hier möchte ich die Frage stellen, ob ein Bild, das beispielsweise eine Übersicht von Reykjavik zeigt, dadurch gewinnt, dass Reykjavik als Titel daneben steht. Oder ob dies nicht eher den Effekt auslöst, dass man sagt: aha, so sieht also Reykjavik aus, und das Bild nicht mehr als eigenständige ästhetische Form oder als Träger einer Information wahrnimmt. Das Informationsbedürfnis ist bereits durch den Text abgedeckt, der sich direkter an Wissen und Intellekt richtet als das Bild. Das Bild funktioniert als Beweis, dass es Reykjavik tatsächlich gibt und dass es dort - wie gezeigt - aussieht. Dabei ist auch nicht thematisiert, dass ein anderer Ausschnitt oder Blickwinkel einen völlig anderen Eindruck erzeugen kann. Ist der textliche Verweis nicht vorhanden, also der konkrete Ort nicht zu identifizieren, verliert das Bild an Beweiskraft, da nicht klar ist, was es denn nun beweisen soll. Anders verhält es sich natürlich, wenn der abgebildete Ort aus der eigenen Erfahrung bekannt ist. Dann wird das Bild mit der persönlichen Erfahrung abgeglichen. Entweder, man erkennt den Ort wieder und sieht sein Wissen über den Ort bestätigt, oder aber man bemerkt eine Diskrepanz und stellt das Bild als Dokument in Frage.

Die Bilder, die Sie hier sehen, zeigen Stadt. Vielleicht haben Sie sich schon dabei beobachtet, dass Sie gerne wissen würden, welche Stadt diese Bilder zeigen. Vielleicht konnten Sie auch schon das eine oder andere Bild einer bestimmten Stadt zuordnen, die Sie kennen. Auf jeden Fall werden Sie aber erkannt haben, dass die Bilder in einer Stadt gemacht wurden. Zu welchem Schluss auch immer Sie kommen mögen: Wichtig ist nicht, auf welchen Ort die Bilder tatsächlich verweisen, sondern wie jeder Betrachter mit seinen individuellen Erfahrungen ein eigenes Bild von Stadt konstruiert.

Die Bilder sind in verschiedenen Städten in Europa und Nordamerika gemacht. Sie zeigen das Unspezifische, um so einen Eindruck zu hinterlassen, der über das Visuelle einer bestimmten Stadt hinausgeht. Es geht eher um die Erzeugung des Bildes einer Meta-Stadt, in der sich jeder zurecht finden kann, der städtische Strukturen an sich kennt. Auch in der internationalen Stadt ist es möglich, Geschäftsgebäude von Wohnhäusern, Straßen von Gehwegen zu unterscheiden. Die internationale Stadt ist unspezifisch und bildet nur den Hintergrund für die Ortsgebundenheit sozialer Zusammenhänge. Sie erlangt einen zeichenhaften Charakter. Vermutlich steht die Konvergenz von Städten in direktem Zusammenhang mit einer zurückgehenden Sesshaftigkeit. Die Identitätslosigkeit von Städten, die zunehmend an die Gleichförmigkeit von Flughäfen erinnert, macht es leicht, sich heute hier und morgen in einer anderen Stadt aufzuhalten. Die internationale Stadt ermöglicht die sofortige Orientierung, so dass Probleme der Akklimatisierung entfallen.

In einem Essay über die Stadt ohne Eigenschaften äußert sich der Architekt Rem Kolhaas über die Tendenz der Angleichung von Städten wie folgt: ... angesichts der Dimensionen, in denen das ganze vor sich geht, muss es etwas bedeuten. Was sind die Nachteile von Identität, oder, umgekehrt, worin bestehen die Vorteile der Gesichtslosigkeit? Was wäre, wenn es sich bei dieser scheinbar zufälligen - gemeinhin beklagten - Angleichung um einen gesteuerten Prozess handelte, um eine bewusste Abkehr von Divergenz, eine Hinwendung zu Kongruenz? Sind wir womöglich Zeugen einer weltweiten Befreiungsbewegung ('Nieder mit dem Charakteristischen!')? Was bleibt übrig, wenn jede Identität abgestreift wird? Das Eigenschaftslose?

Es bleibt zu fragen, inwieweit sich Identität überhaupt noch an sichtbaren Strukturen festmacht. Möglicherweise wird sie zunehmend in virtuelle Dimensionen verlagert, also in die sozialen, aber auch in die digitalen Netze. So operieren verschiedene Knotenpunkte im Internet mit der Metapher der Stadt bzw. der Internationalen Stadt, um einerseits auf Bekanntes zu verweisen, andererseits aber unabhängig von der physikalischen Eingrenzung der Stadt soziale Gemeinschaften aufzubauen. Sie sind weltweit verfügbar und somit internationaler als jede gebaute Stadt es je sein kann. Dass virtuelle Städte die realen nicht ersetzen können, steht außer Frage. Sie können aber möglicherweise dort ansetzen, wo die Stadt durch mangelnde Differenz an Identifikationspotenzial einbüßt. Die Stadt bleibt als Idee vorhanden, verliert aber in ihren baulichen Strukturen an Bedeutung.