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Dorothea Lange: Impounded
Dorothea Lange (1895-1965) ist durch ihre Fotografien für die Farm Security Administration (FSA) in den dreißiger Jahren bekannt geworden. Ihre Fotografie ‚Migrant Mother’, die auch in Form einer Briefmarke verbreitet wurde, erlangte Weltruhm. Weniger bekannt ist, dass Lange in den vierziger Jahren für ein weiteres Regierungsprojekt fotografiert hat: Im Auftrag der War Relocation Authority (WRA) dokumentierte sie die Internierung von japanischen Immigranten und Amerikanern japanischer Herkunft während des Zweiten Weltkriegs. Weil die Internierung ein politisch umstrittenes und höchst sensibles Thema war, wurden Langes Fotografien lange Zeit unter Verschluss gehalten. Die Bilder wurden zum Teil mit dem Vermerk ‚impounded’ versehen, was so viel bedeutet wie: beschlagnahmt.
Nun ist es zwei Historikern zu verdanken, dass ein Teil von Langes Fotografien zu diesem Thema in Buchform vorliegt. Aus unterschiedlichen Perspektiven werden die Fotografien in einen zeithistorischen und politischen Kontext eingeordnet. Linda Gordon beschreibt Langes Aufgabe für die WRA aus ihrem Lebenslauf heraus. Lange hatte sich eine hohe Reputation innerhalb der FSA erarbeitet, weil sie mit ihrem sozialen Engagement deren inhaltliche Ausrichtung – die Notwendigkeit der Politik des New Deal und deren positive Auswirkungen auf die von ihrem Land vertriebenen Farmer – aktiv unterstützte. Eine ähnliche Unterstützung für ihr Anliegen wurde von der WRA erwartet. Doch weil die Idee der Internierung aus einer rassistischen Paranoia heraus entstanden war, deckten sich die Interessen der Auftraggeber nicht unbedingt mit den sozialen und antirassistischen Ideen Dorothea Langes. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor erschienen Immigranten japanischer Herkunft plötzlich als mögliche Feinde der amerikanischen Regierung, unbesehen der Tatsache, dass viele von ihnen längst US-amerikanische Staatsbürger waren. Diese vermeintliche Gefahr galt es aus offizieller Sicht einzudämmen. Dass durch die politische Maßnahme gut integrierte amerikanische Bürger plötzlich ihre Häuser und Geschäfte aufgeben mussten, um ihr Dasein zusammengepfercht und beschäftigungslos in Lagern zu fristen, ist eines der Hauptthemen in Langes Fotografien. Im Gegensatz zu ihren Auftraggebern konzentriert sich Lange auf die Ratlosigkeit und Verzweiflung der entwurzelten Menschen und ihren Umgang mit der ihnen aufgezwungenen neuen Lebenssituation.
Gary Y. Okihiro bezieht sich in seinem Aufsatz auf zahlreiche Augenzeugenberichte und setzt sie in Beziehung zur innenpolitischen Situation der Zeit. Aus seinem Text geht hervor, dass bereits seit Mitte der zwanziger Jahre, dann über die ganzen dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinweg, eine Stimmung der Angst vor ‚rassischer und kultureller Überfremdung’ an der amerikanischen Westküste herrscht. Auch die Zahlen sprechen eine deutliche, rassistische, Sprache: Während des Zweiten Weltkriegs wurden nur wenige Immigranten deutscher oder italienischer Herkunft als Feinde inhaftiert, diese Maßnahme traf vor allem ca. 120.000 japanischstämmige Immigranten – zwei Drittel von ihnen amerikanische Staatsbürger. Über die Wurzeln dieses Rassismus gegen eine kleine Gruppe von Immigranten lässt sich nur spekulieren, auch Okihiro gibt keine Antwort.
Langes Fotografien sind in vier Kapitel unterteilt. Die schwarzweißen Bilder stehen jeweils einzeln auf einer Seite und sind meist mit einer umfangreichen Bildunterschrift versehen, die auf Langes Notizen beruht. Leider sind die Fotos in einem recht groben Raster gedruckt, was das Erkennen feiner Details mitunter erschwert. Zu erklären ist diese fehlende Qualität aus der Ausrichtung des Buches: Langes Fotografien dienen hier der Aufarbeitung historischer Fakten und werden nicht als eigenständige Fotografien und Kunstwerke präsentiert.
Die Bildstrecke beginnt mit der Zeit kurz vor der Evakuierung. Die Fotografien zeigen japanischstämmige Kinder, die gemeinsam mit anderen Kindern den Fahneneid schwören oder die US-Flagge schwenken. Porträts zeigen hart arbeitende Farmer auf ihrem Land und ihre Vorbereitung auf ihre bevorstehende Abreise ins Ungewisse. In den ersten Fotografien entsteht ein Eindruck von Alltäglichkeit, die Menschen wirken freundlich und gefasst. Doch dann gibt es auch Fotografien anti-japanischer Propaganda und der Plakate, die die Evakuierung ankündigen. Häuser und Läden werden verbarrikadiert, Türen verriegelt, Habseligkeiten eingelagert. Lange fotografiert in verschiedenen Einstellungen die Stufen der Vorbereitung. Eine Fotografie zeigt beispielsweise einen auf einer Leiter stehenden, in Jeans und Pullover gekleideten Mann, der sein Geschäft mit Holzlatten verbarrikadiert. Im Anschnitt rechts ist ein chinesisches Geschäft zu sehen, das wie selbstverständlich weiter geöffnet bleiben darf. Es sind solche subtilen Verweise, die Langes leise Kritik offenbaren.
Das zweite Kapitel ist mit „The Roundup“ überschrieben, was sich mit ‚Zusammenfassung’ übersetzen lässt. Lange geht mitunter sehr nah an die Menschen heran, denen Unsicherheit und Verzweiflung ins Gesicht geschrieben sind. Beeindruckend ist beispielsweise die Fotografie eines älteren Farmers, der mit ernstem Blick direkt in die Kamera schaut. Er sitzt in einem Innenraum auf einem Klappstuhl, in der Hand hält er Papiere. Die Stühle in dem Raum sind sichtbar zusammengewürfelt, was auf den provisorischen Charakter der Registrierungs- und Zusammenfassungsaktion schließen lässt. Lange zeigt Familien in Sonntagskleidung, auf Klappstühlen, zwischen Kisten, wartend, verunsichert. Teilweise tragen sie Schilder an ihrer Kleidung, die offenbar das Ziel der Reise oder die familiäre Zusammengehörigkeit markieren. Eine Fotografie zeigt aus leichter Obersicht einen älteren Herrn mit Hut, dessen Schild kontrolliert und mit einer Liste verglichen wird: Degradiert zu Objekten, lassen sich die Menschen in Bussen und Zügen in Zwischenlager abtransportieren. Verabschiedet werden sie von Freunden und Nachbarn mit einer ‚richtigen’ ethnischen Abstammung.
Das dritte Kapitel – „At the Assembly Centers“ (‚In den Versammlungszentren’) – ist in den provisorischen Lagern fotografiert, in die die japanischstämmigen Immigranten gebracht wurden, bevor sie in die für den langfristigen Aufenthalt eingerichteten Lager umziehen mussten. Langes Fotografien zeigen Baracken und Pferdeställe, die provisorisch als menschliche Behausung hergerichtet werden. Auf der ersten Fotografie des Kapitels ist eine idyllische Blumenwiese mit Baracken im Hintergrund zu sehen, auf einer der folgenden Fotografien ein mit Stacheldraht bewehrter Zaun sowie ein Schild mit Anweisungen für Besucher. Die Zaunfotografie ist deshalb so bemerkenswert, weil insbesondere in den Fotografien vom Lager Manzanar, das im vierten Kapitel im Zentrum steht, weder Zäune noch Militär zu sehen sind. Nach der Beschreibung von Linda Gordon war es Dorothea Lange untersagt, militärischen Anlagen oder Soldaten zu fotografieren. Obwohl sie von offizieller Seite beauftragt war, beschreibt Gordon die Kontrollschikanen, denen Lange wiederholt ausgesetzt war. Offensichtlich war die Angst groß, Lange könnte Fotografien anfertigen, die sich nicht mit den Intentionen der WRA decken. In Langes Fotografien von den Versammlungszentren werden zum ersten Mal die Dimensionen der Internierung deutlich, weil auf den Fotografien nun oft viele Menschen zu sehen sind. Ihr Gepäck wird auf Schmuggelware hin untersucht, sie stehen unmittelbar nach ihrer Ankunft zwischen Gepäckstücken, noch nicht wissend, wohin. Einige von Langes Fotografien zeigen auch, dass die Umbaumaßnahmen noch nicht beendet sind. Pferdeställe sind noch als solche erkennbar, dennoch deuten davor stehende Bettrollen und anderes Gepäck auf die neuen Bewohner hin. Lange bewahrt ihren distanzierten, aber einfühlsamen Blick, indem sie die staubigen Wege zwischen den Baracken ebenso zeigt wie vor den Baracken hingeworfene Gepäckstücke. Lange Schlangen vor den Speisesälen verdeutlichen, dass die Versorgung der vielen Menschen nicht reibungslos abläuft. Schließlich fotografiert Lange auch in den Innenräumen der spartanisch eingerichteten Baracken, die, nach Augenzeugenberichten, teilweise im Geruch noch stark an die vorhergehenden tierischen Bewohner erinnern. Lange zeigt nicht nur die beschäftigungslosen Menschen, sondern auch erste Schritte der Bewohner, sich den Ort anzueignen. Das Kapitel endet mit der Fotografie eines frisch angelegten Gartens vor einer Baracke. Die Fenster sind inzwischen mit Gardinen versehen, Besen und Gartenwerkzeug sind sorgfältig an der Wand aufgereiht.
Die Stimmung dieses Bildes durchzieht auch das letzte Kapitel mit dem Titel „Manzanar“. Das am nördlichen Ende des Death Valleys in Kalifornien gelegene Internierungslager Manzanar war eines der größten langfristig angelegten Lager. Auf einer staubigen Ebene gelegen, bietet es einen spektakulären Blick auf die Bergketten dahinter. Lange zeigt die eintönigen Baracken und den Kampf gegen den Staub mittels Feuerwehrschläuchen. Hier scheinen die Menschen ein – wenn auch provisorisches – Zuhause gefunden zu haben. Noch immer gibt es Schlangen vor den Speisesälen, aber nun wird im Schatten gelesen. Lange porträtiert Menschen, die sich arrangiert zu haben scheinen. Sie haben Gärten gepflanzt oder knüpfen Tarnnetze, sie machen Land fruchtbar, setzen die Lagerzeitung. Kinder lesen Comics und freuen sich auf das Baseballtraining. Auch wenn es noch keine Ausstattung für Klassenräume gibt, haben sich Lehrer gefunden, die Schulkinder weiter unterrichten. Selbst das Gruppenbild von Waisenkindern, die aus einer Einrichtung in San Francisco nach Manzanar gebracht wurden, wirkt wie das eines Gruppenausflugs. Insbesondere bei diesen Fotografien fragt man sich, was wohl der Grund für die Zensur gewesen sein mag, denn der Charakter der Zwangsmaßnahme wird nicht explizit sichtbar. Andererseits mag die politische Sprengkraft gerade hier verborgen liegen: Indem Lange fleißige und ordentliche Menschen zeigt, die sich selbstständig ihren Alltag mit sinnvollen Beschäftigungen organisieren, Gärten anlegen und Blumen arrangieren, wird deutlich, dass hier Mitglieder der Gesellschaft aus ihrem alltäglichen Umfeld sinnlos herausgerissen worden sind. Mit ähnlichem Engagement, so scheint es, hätten sie auch in Freiheit den Interessen des Staates dienen können, der sie zu Feinden deklariert hat.
Auch wenn die Auswahl der Fotografien durch die Aufarbeitung des historischen Themas bestimmt ist, zeigen sich in dieser Serie erneut Dorothea Langes Beobachtungsgabe und ihr Einfühlungsvermögen, die sie in exzellente Bilder umzusetzen versteht. Die japanischstämmigen Immigranten werden in Dorothea Langes Fotografien nicht als Fremde und Andere gezeigt, die eine potentielle Bedrohung der amerikanischen Gesellschaft darstellen. Im Gegensatz zur politischen Stimmung der Zeit betont Lange gerade die genuin menschlichen Aspekte, die selbst innerhalb einer eher menschenfeindlichen Situation aufrecht erhalten bleiben.
© Bettina Lockemann 03|2007
Dorothea Lange, Impounded. Dorothea Lange and the censored images of Japanese American Internment, herausgegeben von Linda Gordon und Gary Y. Okihiro, New York 2006, Norton & Company, Inc.
205 Seiten, 108 s/w Abbildungen
Format: 24cm x 18cm