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Abschied vom Wilden Westen
Überlegungen
zur Netzkunst an der Schwelle zur Institutionalisierung
Ich
möchte einmal das Feld umreißen, in dem wir uns bewegen. Ich
möchte die Anfänge der Netzkunst hier als eine unabhängige
heterogene Kunstform begreifen, die jetzt an der Schwelle zur Institutionalisierung
steht. Denn die Einrichtung von Portalen oder Plattformen bedeutet das
Ende einer Phase, die ich einmal als Wild-West-Phase bezeichnen möchte.
Einer Phase, in der, wenn man es romantisch sehen möchte, Künstler
individuell und ungebunden agieren können ohne sich um Märkte
oder Sammler kümmern zu müssen. Einer Phase, in der künstlerische
Freiheit in dem Sinne herrscht, dass Künstler allein entscheiden,
was sie machen, wie es realisiert wird und die Resultate eigenständig
in die Öffentlichkeit bringen. Sie organisieren sich dabei in Netzwerken
und tauschen sich untereinander aus bzw. bilden Gruppen, um gemeinsam
Projekte zu realisieren. Dass dies natürlich auch Nachteile besonders
finanzieller Art hat, sei jetzt einmal dahingestellt. Mit dem Begriff
Institution ist nicht die Bildung von Künstlergruppen gemeint, die
mitunter institutionell organisiert auftreten, sondern Institutionen im
Sinne von Museen, Galerien und Ähnlichem, die u.a. kuratorische,
reflexive und sammelnde Funktionen ausüben. Ich versuche, die Unterschiede
zwischen unabhängiger und institutionalisierter Produktion und deren
Auswirkungen auf die Rezeption zu beleuchten, um die Vor- und Nachteile
beider Produktionsformen herauszuarbeiten. Möglicherweise lässt
sich ein Weg finden, die Vorteile beider Produktionsweisen zu vereinen.
Ich möchte Fragen formulieren, die in den Überlegungen zum Aufbau
einer Netzkunstplattform berücksichtigt werden sollten. Denn es geht
darum, für die Künstler und die Kunst optimale Bedingungen zu
schaffen. Ich werde einige Sachverhalte stark verkürzt darstellen,
was vielleicht manchmal etwas polemisch klingt, das bitte ich schon im
Voraus zu entschuldigen.
Netzkunst
existiert in einem öffentlichen Raum, der individuell zugänglich
ist. Das Publikum befindet sich in einem privaten oder beruflichen Umfeld
und hat die Möglichkeit, jederzeit zwischen Shopping-Mall, Info-Angebot
und Kunst hin und her zu wechseln. Und weil der öffentliche Raum
sich immer weiter ausweitet und immer unübersichtlicher wird, vor
allem aber einer starken Kommerzialisierung unterliegt, wird die Kunst
zu einer Marginalie. Deswegen versucht man, es ihr leichter zu machen,
indem man Portale schafft. Portale sind Institutionen, die den einstmals
unabhängig zugänglichen Raum des Netzes aufteilen und mit Inhalten
füllen. Portale sind die Antwort auf das Ausufern des Netzes, das
zu einer Unübersichtlichkeit des Angebots führt. Portale versuchen
in ihrem Gebiet als Definitionsmacht zu wirken und somit ein größeres
Publikum anzulocken. Viele Nutzer auf einer Site bedeuten eine hohe Rezeption
der Inhalte und im Falle von kommerziellen Angeboten mehr Geld durch höhere
Werbeeinnahmen. Für Kunstinstitutionen könnte viel Aufmerksamkeit
eine verstärkte Förderung durch öffentliche Mittel heißen.
Für das Internet als Medium, das in seiner Frühphase gerne als
Gegenpart zum organisierten institutionellen Kunstsystem genutzt wurde,
bedeutet dies einen drastischen Einschnitt.
Die
Begeisterung von Künstlern für Aktivitäten im Internet
Mitte der 90er Jahre rührte gerade daher, dass nicht erst Institutionen
des Kunstsystems - wie Galerien, Kuratoren, Museen - auf die Künstler
aufmerksam werden mussten, um überhaupt an die Öffentlichkeit
zu gelangen. Vielmehr ermöglichte es das Netz, dass Kunst in der
Form, wie die Künstler es wollten, öffentlich zugänglich
wurde. Dies ermöglichte insbesondere auch Künstlern, die aus
Ländern abseits des mitteleuropäisch/nordamerikanisch dominierten
Raums stammen, international beachtet zu operieren. Dann wurden die Kuratoren
auf die Netzkunst aufmerksam und so entwickelt sich nun alles wieder in
die Richtung des klassischen Kunstsystems. Das Netz wird institutionalisiert.
Die Institutionen wählen Künstler aus, die sie für förderungswürdig
halten. Da die Institutionen das Geld haben, können sie - auch offline
- weite Kreise in der Öffentlichkeit ziehen und erreichen so eine
größere Öffentlichkeit als die unabhängigen Sites,
die es neben den Institutionen auch noch gibt. So entsteht ein Kreislauf.
Presseechos und Aufmerksamkeit generieren noch mehr Aufmerksamkeit und
noch mehr Presse. Für die institutionell repräsentierten Künstler
stellt dies möglicherweise einen angenehmen Synergie-Effekt dar,
für die anderen ist es eher lästig, da sie davon bedroht sind,
in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Oder sie müssen sich
darum bemühen, bei den Institutionen Beachtung zu finden und auch
Teil dieses Systems werden. Institutionell gebundene Künstler müssen
sich möglicherweise eher der Institution anpassen, die nun darüber
nachdenkt, wie Netzkunst kuratiert, vermarktet und gesammelt werden kann,
was für unabhängig operierende Künstler bedeuten könnte,
ein Stück künstlerische Freiheit aufzugeben.
Im
Gegensatz zu "Galeriekunst" hat Netzkunst keinen eigenen Raum, in dem
sie rezipiert wird, der sich von kommerziellen Räumen unterscheidet.
So hat sie zunächst keinen eigenständigen Kontext, der für
die Präsentation berechenbar wäre. Jede Site steht für
sich und hat keinen Einfluss darauf, was das Publikum vorher gesehen hat,
wie tief es in die Strukturen der Site eindringt, wie lange es verweilt
und wo es danach hinwandert. Die Verlinkung mag eine leitende Funktion
ausüben, ist aber absolut nicht bindend. Kontext entsteht also nur
über den Zusammenhang innerhalb einer Site, also innerhalb der selben
URL. Wenn man davon ausgeht, dass ein unabhängiges Projekt eine eigene
URL besitzt, existiert es ohne Kontext. Kontext wird erst durch den institutionellen
Rahmen erzeugt. Der institutionelle Rahmen ist die Galerie für Netzkunst,
auch wenn sie sich nicht Galerie sondern Raum, Sphäre oder anders
nennt. Projekte werden hier automatisch als Kunstprojekte wahrgenommen.
Sie werden kontextualisiert, indem sie direkt neben anderen Projekten
stehen und mit ihnen gemeinsam rezipiert werden. Außerhalb der Institutionen
sind Projekte zwar miteinander verlinkt, was aber eher ein allgemeines,
loses Interesse verrät und nichts mit der URL eines Projektes zu
tun hat. So sind möglicherweise Projekte, die nichts miteinander
zu tun haben, nebeneinander in einer Linkliste aufgeführt, woraus
sich Kontexte entwickeln, die die Spannung im Netz erzeugen. Im institutionellen
Rahmen sind die Verbindungen zwischen den Projekten solche, die ein Kurator
sucht und findet. Im Gegensatz zu einer Linkliste sind sie viel ausgewählter
und legen eine Betrachtung nach- oder miteinander geradezu nahe. Durch
die Kontextualisierung werden Projekte vergleichbar. Die Einbettung in
einen Zusammenhang führt unter Umständen dazu, dass Netzkunst
nicht mehr zwischen allen möglichen anderen nicht künstlerischen
Sites betrachtet wird. Sie ist gezielter auffindbar und kann in kunstinternen
Zusammenhängen angeschaut werden, was sich auf Einordnung und Verständnis
positiv auswirken kann. Institutionalisierte Netzkunstprojekte lassen
sich auch nach wie vor durch Suchmaschinen auffinden. Dadurch können
sie unabhängig von ihrer Existenz auf einem Kunstserver gefunden
werden. Allerdings verrät die URL die physikalische Verortung und
setzt damit eine inhaltliche Referenz. Wäre es wünschenswert,
auf eine einheitliche Adressierung zu verzichten, um eine Unabhängigkeit
von der Institution zu erreichen oder wäre das scheinheilig?
Eine
Präsenz im Kunstkontext hat eine veränderte Rezeption der Projekte
zur Folge. Die Wahrnehmung des Publikums wird von vornherein auf Kunstwahrnehmung
geeicht, d.h. die Aufmerksamkeit richtet sich auf diesen Aspekt. Die Überraschung,
auf einer Site zu landen, die man zunächst nicht einordnen kann,
weil die Intention nicht sofort klar ist, entfällt. Durch die vorab
erfolgende Einordnung als Kunst greift ein solches Überraschungsmoment
nicht mehr. Die Wahrnehmung richtet sich nun auf die Differenz, die durch
den Betrachter zu Nicht-Kunst-Projekten aufgebaut wird. Nicht Ähnlichkeiten
zu Nicht-Kunst-Sites werden wahrgenommen, sondern Unterschiede. Dadurch
verschiebt sich die Konstitution von Bedeutung. Wird das Projekt primär
als Kunst wahrgenommen und diese Wahrnehmung dann ausdifferenziert in:
gut oder schlecht, interessant oder langweilig, informativ oder altbekannt,
schön oder schäbig, bezieht sich diese Wahrnehmung immer auf
das Projekt als Kunst. Es kann nicht mehr zunächst als mit einer
Eigenschaft behaftet wahrgenommen und diese Wahrnehmung von der Feststellung
abgelöst werden: Ach so, das ist ja ein Kunstprojekt. Die Irritationen,
die ein Kunstprojekt gemeinhin mit sich bringt, weil es Fragen aufwirft,
die nicht sofort zu beantworten sind, muss also im Werk selbst liegen
und kann sich nicht mehr außerhalb des Werkes befinden. Dies bedeutet
für die Produktion möglicherweise eine Änderung der Strategie,
wenn ein Projekt für einen institutionellen Rahmen geschaffen wird.
Durch
ein Nebeneinander von Projekten auf einem Server ist es möglich,
Zusammenhänge zu konstituieren, die ein Verständnis von komplexen
Projekten möglicherweise erleichtern. Wo sich das individuelle Projekt
selbst verorten muss, weil es in sich keine festen Zusammenhänge
zu Projekten außerhalb herstellen kann, lebt das institutionell
geförderte Projekt gerade deshalb entspannter, weil Kontexte geschaffen
werden können. Es muss nicht ausschließlich selbst erklärend
sein, weil es sich auf die Erklärungshoheit und Kontextbildung des
institutionellen Rahmens verlassen kann. Es hat auch keine Definitionsprobleme,
als Kunst anerkannt zu werden, denn die Institution an sich sorgt mit
der Aufnahme dafür, dass sich diese Frage überhaupt nicht stellt.
Die Institution hat insofern die Macht zu erklären, was Kunst ist.
Dies schließt zunächst alle anderen Erzeugnisse vom Kunststatus
aus. Dieser Ausschluss kann zwar keine Absolutheit beanspruchen, kann
aber dem unabhängigen Projekt die Anerkennung als Kunstwerk erschweren.
Projekte,
die darauf ausgelegt sind, sich chamäleonhaft in das Netz einzubinden
und zunächst nicht preisgeben, dass es sich um Kunst handelt, können
im institutionellen Rahmen nicht repräsentiert werden. Sie legitimieren
sich durch ihre Nähe zu kommerziellen oder anderen Angeboten und
irritieren den Betrachter erst nach einer Weile in dem Maße, dass
sie plötzlich nicht die Site zu sein scheinen, die sie vorgeben.
Diese Projekte zielen möglicherweise nicht auf eine Rezeption durch
ein Publikum, das auf der Suche nach künstlerischen Produktionen
ist. Sie versuchen vielmehr, Leute zu irritieren, die normalerweise keine
Netzkunstprojekte anschauen. Trotzdem sind dies Kunstprojekte, die durch
die mangelnde Präsenz im institutionellen Rahmen Gefahr laufen, vergessen
und ignoriert zu werden. Da solche Projekte aber auch im historischen
Verständnis der Netzkunstentwicklung von Bedeutung sind, haben sie
öffentliche Beachtung verdient, auch wenn sie nicht im Kunstkontext
auftauchen.
Die
Projekte, die im Rahmen einer institutionellen Plattform gezeigt werden
können, sind vermutlich im allgemeinen im Web angesiedelt. Es handelt
sich um Projekte, die den Schwerpunkt auf eine visuelle Präsentation
legen. Was passiert aber mit solchen Projekten, die sich der visuellen
WWW-Oberfläche entziehen? Was ist mit Projekten, die im Kommunikations-Sektor
angesiedelt sind und sich nicht auf eine Web-Oberfläche reduzieren
lassen? Gibt es Möglichkeiten, diese überhaupt im Web zu präsentieren?
Könnte man solche Projekte auch ohne Web-Präsenz einer Institution
angliedern? Wie könnte das aussehen?
Institutionen
haben durch ihren finanziellen Background die Möglichkeit, auf einem
hohen technischen Niveau zu produzieren bzw. produzieren zu lassen. Wenn
sie Künstler auf der technischen Ebene unterstützen, könnte
dies Auswirkungen auf die Kunstproduktion haben. Haben dann so genannte
Low-Tech-Projekte noch eine Daseinsberechtigung? Werden High-End-Produktionen
zu einer Vernachlässigung der Zugangsbedingungen eines großen
Teils der Nutzer führen? Insgesamt lässt sich die Frage stellen,
ob es auf einer institutionellen Plattform möglich ist, Projekte,
die sich in ihrem Erscheinungsbild extrem voneinander unterscheiden, zusammen
zu präsentieren und ob es gut für die Projekte ist, durch eine
gestalterische Klammer mit dieser Institution verbunden zu werden. Nimmt
der institutionell gestaltete Eingangsbereich dem Projekt seine Eigenständigkeit
oder erzielt er einen Mehrwert für das Projekt?
Der
Kunstliebhaber, damit meine ich denjenigen, der kunstinteressiert ist,
sich aber außerhalb des internen Diskurses befindet, der auf der
Suche nach Erzeugnissen der Netzkunst ist, wird zunächst bei Institutionen
suchen, die dafür zu garantieren scheinen, dass etwas Hand und Fuß
hat. Möglicherweise sind öffentliche Gelder geflossen, es sind
Leute an der Auswahl beteiligt, die ihr Handwerk gelernt haben, die für
das bezahlt werden, was sie tun, also professionell sind. Ihnen wird mehr
oder weniger abgenommen, dass sie sich in ihrem Spezialgebiet auskennen
und von daher die guten von den schlechten, die interessanten von den
langweiligen Projekten unterscheiden können. Der Netzkunstflaneur
gibt seine Möglichkeit, selbst auszuwählen und zu urteilen aus
der Hand und nimmt die Auswahl der Institution hin, im Vertrauen darauf,
dass eine Institution nicht völlig irren kann. Ohne sich darüber
bewusst zu werden, gibt er Handlungskompetenzen an Institutionen weiter,
die von diesen gerne wahrgenommen werden, da dies ja ihr Auftrag ist:
auswählen, kontextualisieren, aufbereiten, wissenschaftlich betrachten,
in der Öffentlichkeit vertreten. Deshalb sollte der Institution ihre
Verantwortung als Schnittstelle zwischen den Interessen des Publikums
und denen der Künstler - auch derer, die sie nicht repräsentiert
- immer bewusst sein.