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Code Orange. Washington im Krieg
Die Ereignisse vom 11. September haben gezeigt, wie wichtig die Kontrolle von Bildern sein kann.
Der Terrorismus wurde zum „bildgebenden Verfahren, der vorab entworfene Bilder an die
Medien“ (Zizek) lieferte. Der Kampf gegen den Terror, den sich die USA auf die Fahnen
geschrieben haben, ist auch der Kampf um die Hoheit über Bilderzeugung und -vermittlung.
Besonders in Kriegszeiten ist die Überwachung der Bildproduktion von großer Bedeutung
und so ist es kaum verwunderlich, dass auch an der Heimatfront der Versuch gemacht wird, die
Bilderzeugung unter staatliche Kontrolle zu bringen.
An den Anblick von Überwachungskameras an öffentlichen und halböffentlichen
Gebäuden haben wir uns mittlerweile gewöhnt. So lange man sich auf der richtigen
Seite der Gesetze wähnt, schenkt man ihnen weder Beachtung, noch fühlt man sich in
seiner Bewegungsfreiheit nachhaltig eingeschränkt. Washington DC, derzeit eine Hauptstadt
im Krieg gegen den Terror, zeigt jedoch deutlich, wie der durch das Sicherheitsbedürfnis
erzeugte Überwachungswahn eine Präsenz erreicht, die die Wahrnehmungsschwelle
überwindet. Die Sicherheitsmaßnahmen im Rahmen der Terrorabwehr haben ein
Ausmaß angenommen, das eher an Situationen in Israel erinnert als an das „freie“
Land, als das es sich durch seine Verfassung ausweist.
Die Stadt steht unter permanenter Beobachtung. Die Kameras an den Gebäuden scheinen sich
gegenseitig zu erfassen. Im innerstädtischen Bereich gibt es zahlreiche Kameras, die als
Lampen getarnt sind. Sie beobachten nicht nur die Eingangsbereiche der Gebäude, an denen
sie angebracht sind, sie beobachten ein sehr umfassendes Straßenszenario. Technik und
Auflösung der Kameras sind mittlerweile so gut, dass es ausreicht, sie auf Dächern
von 20-stöckigen Gebäuden zu platzieren. Die Dichte von Überwachungskameras
soll für die Sicherheit garantieren. Wo alles aufgezeichnet wird, ist kein Ort für
terroristische Anschläge. Die Frage ist nur: Werden diese Unmengen von Bildern auch
tatsächlich ausgewertet?
Die panoptische Gesellschaft geht von der Prämisse aus, dass Sichtbarkeit Sicherheit
garantiert. Wir kennen die Bilder der Überwachungskameras vom Logan Airport in Boston
am 11.9.2001. Sie zeigen Mohammed Atta auf dem Weg zu seiner Maschine, die er kurz darauf in
einen Turm des World Trade Centers lenken wird. Den terroristischen Akt selbst hat die
Überwachung nicht verhindert. Es scheint, dass die staatlich kontrollierte Sichtbarkeit
nur einen Zustand der Sicherheit simuliert, ihn aber nicht gewährleisten kann. So lange
man mit Videokameras nicht in die Köpfe von SelbstmordattentäterInnen blicken kann,
wird die Videotechnik keine Sicherheit erzeugen.
Deshalb verlassen sich die amerikanischen Behörden längst nicht nur auf Maschinen, sie
setzen auch ihre BürgerInnen als Beobachtungsinstanzen ein. Während der erhöhten
Gefahr terroristischer Anschläge – gekennzeichnet durch die Ausrufung der Sicherheitsstufe
Orange – werden AutofahrerInnen auf den Freeways in die amerikanische Hauptstadt darum gebeten,
Verdächtiges dem Heimatschutzministerium (Department of Homeland Security) über eine
gebührenfreie Telefonnummer zu melden. Diese Form der Überwachung funktioniert:
AutofahrerInnen halten an, um eine Fotografin, die visuell Belangloses fotografiert, nach dem
Grund zu befragen. Ein Journalist, der in einer harmlosen Situation kritische Fragen stellt,
beschreibt in der Zeitung, wie er von einer Touristin gemeldet, von Sicherheitskräften
befragt und festgehalten wird. Der Nutzen dieses Beobachtungswahns muss bezweifelt werden.
Die BewohnerInnen Washingtons, die ihren täglichen Verrichtungen nachgehen, beobachten
vielleicht genauer, nehmen die veränderte Atmosphäre ansonsten aber kaum wahr. Sie
haben sich an wiederholt verschärfte Gefahrensituationen gewöhnt. Jene Fotografin,
die sich die Aufgabe gestellt hat, die Überwachung zu beobachten und die Atmosphäre
zu dokumentieren, fällt auf und wird damit zum beobachteten Subjekt.
Wird der staatlichen Bilderzeugung eine private entgegengesetzt, die von der touristischen
abweicht, erweckt das Misstrauen. Jene Fotografin gerät schnell in den Verdacht,
zukünftige Anschlagsziele auszuspionieren. Sie wird wiederholt von Sicherheitskräften
angehalten und befragt. Ihr Ausweis wird kontrolliert und ihre Daten mit Terroristenkarteien
abgeglichen. Es wird ihr bedeutet, dass es absolut verboten ist, Regierungsgebäude zu
fotografieren. Die Sicherheitskräfte geben ihr Hinweise darauf, was zu fotografieren sei.
Sie vermitteln den Eindruck, die Kontrolle über das Bild, das von der Stadt erzeugt und
vermittelt wird, behalten zu wollen. Lediglich am Verteidigungsministerium gibt es ein schriftlich
fixiertes Fotografierverbot. Die Stadt soll normal wirken, was allerdings auf Grund der hohen
Dichte von Sicherheitspersonal kaum möglich ist. Die Fotografin beginnt, Strategien zu
entwickeln, unauffällig zu fotografieren. Sie legt ein Verhalten an den Tag, das weder
beim Sicherheitspersonal noch bei Passanten Aufmerksamkeit erregen soll. Das Überwachungssystem
sorgt dafür, dass sich konspiratives Verhalten durchsetzt und erreicht damit genau das Gegenteil
von dem, worauf es abzielt. Auffälliges wird eliminiert. Die Fotografin mutiert zur Touristin
und wird unsichtbar. So ist es auch kein Wunder, dass harmlose touristische Bilder – bei den
falschen Leuten gefunden – als Beweismaterial für terroristische Umtriebe gelten. In
einem Prozess gegen terrorverdächtigte Männer aus dem mittleren Osten gelten Urlaubsvideos
von World Trade Center und Disney World als schwer belastendes Material. Die Behörden sehen
hier den Beweis dafür, dass Terroristen auf heimliche und heimtückische Art versuchen,
Anschlagsobjekte auszuspionieren, indem sie sich als Touristen tarnen. Vermutlich haben die Richter
und Justizbeamten ähnliches Bildmaterial in ihren Wohnzimmerschränken liegen.
Je stärker die Bildproduktion staatlicher Kontrolle unterliegt, desto wichtiger scheint die
Entwicklung von alternativen Sichtweisen und Gegenbildern. Wo JournalistInnen untersagt ist,
über die Terrorabwehr zu berichten, geschweige denn das Bild einer Stadt im Ausnahmezustand
zu zeigen, bleiben subversive Strategien, um der staatlichen Kontrolle etwas entgegen zu setzen.
Den Blick des Überwachungssystems umzukehren, um nicht nur selbst zum Bild zu werden,
wäre eine Alternative.
Wo Überwachungskameras und Satellitenbilder die Bevölkerung kontrollieren und
einzuschüchtern versuchen, mobile Einsatztruppen in unmarkierten weißen Kleinbussen
die Ordnung aufrecht erhalten und sich BürgerInnen als Überwachungsorgane einsetzen
lassen, kann von einer freien Gesellschaft kaum mehr die Rede sein. Nach dem „Bill of Rights“
von 1791 unterliegen die bürgerlichen Freiheiten besonderem Schutz. Auf diesen Verfassungszusatz
sind die AmerikanerInnen sehr stolz. In Washington markieren Verweise auf die durch die Verfassung
garantierten Freiheitsrechte zahlreiche Orte. Zur Zeit wirkt dies jedoch wie das Herbeibeschwören
einer Utopie, deren Zeit noch nicht gekommen ist.
Der Text ist erschienen in der Zeitschrift spector cut+paste Bd. 3, 158-160, Leipzig 2004